Hannah Winkelbauer - Lost&Found (©Marisa Vranjes)

Hannah Winkelbauer – Lost & Found

Von 30. August bis 8. November war die Ausstellung von Hannah Winkelbauer im Salon des Museum Angerlehner zu sehen. „Lost & Found“ zeigte vor allem neue Arbeiten aus der Serie „Fundstücke“, die bereits seit 2015 entsteht und stetig wächst. Die Künstlerin fokussiert den Blick auf unscheinbare Objekte und thematisiert die Schönheit hinter scheinbar hässlicher Oberfläche. Dabei schwingen Themen wie Vergänglichkeit, Umweltbewusstsein und die Ästhetik des Alltags mit.

Die mit Buntstiften gezeichneten Werke zeigen minutiös und naturalistisch dargestellte Gegenstände, die die Künstlerin auf der Straße entdeckt. Diese wurden entweder achtlos weggeworfen oder sind dort einfach vorzufinden - wie etwa Steine oder tote Tiere. Die erste Zeichnung der Serie war ein toter Vogel, den die Künstlerin während eines Art-in-Residency-Programms in Südböhmen am Straßenrand gefunden hat.


„Hannah Winkelbauer ist eine Künstlerin, die unserer lauten multimedialen Gegenwart zeichnerische Stillleben entgegensetzt, und, ausgehend von der kunstgeschichtlichen Tradition, konventionelle Darstellungsformen hinterfragt und neue, frische Blickwinkel auf dieses Genre wirft“, erklärt Günther Oberhollenzer, Kurator der niederösterreichischen Landesgalerie und Eröffnungsredner der Ausstellung „Lost & Found“. Und weiter: „Winkelbauer schöpft aus ihrer Umwelt – sie ist eine leidenschaftliche Sammlerin, auf der Suche nach einem bestimmten, besonderen Motiv, das sich aus der Flut des Gesehenen hervorheben und zeichnerisch festhalten lässt. Es ist die Suche nach dem Ephemeren, dem Flüchtigen und Vergänglichen.“

Die Darstellungsweise ist bemerkenswert detailliert und naturgetreu. Durch den Einsatz von Buntstiften möchte die Künstlerin das Zarte und Fragile des Dargestellten betonen. „Oft in Originalgröße fein säuberlich wiedergebend, versucht Winkelbauer analysierend mit dem forschenden Blick einer Wissenschaftlerin, die Natur fassbar zu machen und den Körper der Flüchtigkeit des Moments, dem drohenden verwesenden Verfall zu entreißen“, so Günther Oberhollenzer.

Die Zeichnungen werden im nächsten Schritt ausgeschnitten und auf weiße Leinwände geklebt oder auch schwebend in einen Objektrahmen montiert. Durch die erhöhte Platzierung erhalten die Motive Raum und Körperlichkeit und durch den neutralen Hintergrund wird der Fokus direkt auf sie gerichtet. Die feinen, kontemplativen Zeichnungen ermöglichen dem Betrachter bzw. der Betrachterin den Blick direkt auf das Dargestellte zu lenken. Die Bilder sind gleichermaßen dokumentarisch und erzählerisch.

„Die leisen, nachdenklichen Zeichnungen von Winkelbauer können als Medium dienen, das Sehen wieder zu lernen. Sie lassen uns die Natur der kleinen Dinge neu erkennen und wahrnehmen: den Zauber des Kleinen und Unscheinbaren, die Faszination am scheinbar Hässlichen oder Kaputten, die Schönheit von Vergänglichkeit und Tod“, erläutert Oberhollenzer.

In folgendem Interview spricht Hannah Winkelbauer über die Serie „Fundstücke“, ihre Arbeit und was sich durch die aktuelle Pandemie für sie geändert hat.

Museum Angerlehner:
Wie wirkt sich die Situation mit COVID-19 auf deine Arbeit aus? Hast du mehr Zeit, um künstlerisch tätig zu sein?

Hannah Winkelbauer:

Da im Frühjahr mein zweites Kind auf die Welt gekommen ist, ist dieses Jahr sowieso ein sehr spezielles für mich. Was mir sehr fehlt, sind regelmäßige Ausstellungsbesuche und Treffen mit anderen Künstler_innen. Dass das nicht oder kaum möglich ist, liegt an der
Pandemie-Situation. Dass ich insgesamt weniger zum Arbeiten komme, liegt eher an meinem sechs Monate alten Baby. Sehr schade ist auch, dass meine Ausstellung im Museum Angerlehner durch den Lockdown sehr abrupt zu Ende gehen musste und auch kurz davor weniger Besuch da war, als es zu normalen Zeiten der Fall gewesen wäre. Durch die Schließung der Museen fällt für bildende Künstler_innen aktuell eine der wenigen Möglichkeiten für Öffentlichkeit (und in weiterer Folge für Verkauf von Werken) weg. Nicht-kommerzielle Kunsträume sind enorm wichtig, um sich mit seinen Arbeiten einem interessierten Publikum vorzustellen.

Museum Angerlehner:

Hat sich dein Alltag als Künstlerin verändert?

Hannah Winkelbauer:

Generell besteht mein Arbeitsalltag ohnehin aus viel Zeit im Atelier, die ich allein verbringe. Diesbezüglich hat sich durch die Pandemie nicht viel geändert. Wie bereits erwähnt, fehlen allerdings die Kontakte mit anderen Kunstschaffenden und die Inspirationen durch Ausstellungsbesuche.

Museum Angerlehner:

Woran arbeitest du gerade?

Hannah Winkelbauer:

Aktuell arbeite ich einerseits an der Serie „Fundstücke“ weiter, und außerdem gibt es ein neues Projekt an der Schnittstelle zwischen Kunst und Illustration, bei dem ich neue Wege einschlage. Dieses Projekt ist allerdings erst im Entstehen und noch nicht ganz spruchreif.

Museum Angerlehner:

Wie bist du zum Thema „Fundstücke“ gekommen?

Hannah Winkelbauer:

Die Fundstücke selbst haben mich auf die Idee gebracht! Es gibt so vieles, was am Straßenrand unbeachtet vor sich hin rottet, aber eigentlich bei genauerem Hinschauen viel bietet. Sowohl ästhetisch, als auch erzählerisch: Wem gehörte dieser verlorene Schuh und woran ist dieser Rabe gestorben? Solche und ähnliche Fragen interessieren mich bei dieser Serie.

Museum Angerlehner:
Warum verwendest du dafür Buntstifte?

Hannah Winkelbauer:

Die Zartheit dieser Technik kommt den Motiven meiner Meinung nach entgegen. Außerdem kommt mir die Buntstiftzeichnung insofern entgegen, als dass ich die Arbeiten zwischendurch einfach liegen lassen kann, bis ich wieder Zeit für die Kunst finde. Bei Ölmalerei hingegen wäre der Zeitdruck, ein Werk fertigzustellen, größer, weil die Farben rasch eintrocknen.

Museum Angerlehner:

Wie lange arbeitest du an einer Zeichnung?

Hannah Winkelbauer:

Viel länger als zwei Stunden am Stück arbeite ich selten an einer Zeichnung, weil das dann zu intensiv wird für Augen und Hände. Arbeiten, wie das Titelbild dieser Ausstellung – der Buntspecht – benötigen daher schon einmal drei bis vier Sitzungen, bis sie fertiggestellt sind. Es fordert nicht nur körperlich, sondern auch geistig.

Museum Angerlehner:

Gibt es daneben andere Serien, an denen du gerade arbeitest?

Hannah Winkelbauer:

Ich arbeite eigentlich meistens an mehreren Serien parallel, so umfangreich wie die „Fundstücke“ war derzeit allerdings schon länger nichts mehr.

Museum Angerlehner:

Hat sich bei deiner Motivwahl innerhalb der Serie „Fundstücke“ etwas geändert?

Hannah Winkelbauer:

Anfangs hatte ich einige sehr „profane“ Motive dabei, wie zum Beispiel Herbstblätter oder verrottetes Gemüse. Inzwischen konzentriere ich mich hauptsächlich auf tote Tiere. Hier ist die Kombination aus „abstoßendem“ erstem Eindruck und poetischer Erzählung meiner Meinung nach besonders kraftvoll.

Museum Angerlehner:

Woher stammen deine Vorlagen (insbesondere von den toten Tieren und den Zöpfen)?

Hannah Winkelbauer:

Die meisten Vorlagen finde ich selbst, manche bekomme ich von anderen Leuten, die wissen, dass ich solche Motive sammle. Tatsächlich finde ich auf Spaziergängen erstaunlich viele tote Tiere.

Museum Angerlehner:

Hast du mittlerweile einen Blick für die „Fundstücke“ entwickelt, wenn du spazieren gehst?

Hannah Winkelbauer:

Ja, ziemlich sicher schaue ich mittlerweile (unbewusst) genauer und richte meinen Blick an Stellen, an denen ich schon öfter etwas gefunden habe. Ich schaue also dorthin, wo man normalerweise eher wegschaut: Auf den Gehsteigrand, in Straßengräben, hinter Büsche, etc.

Museum Angerlehner:
Deine Bilder zeigen ja oft Vögel mit schwarzem Gefieder, wie Raben oder Amseln. Ist das Kolorit ausschlaggebend für die Wahl deiner Motive?

Hannah Winkelbauer:

Nicht wirklich. Im Gegenteil: Ich freue mich eigentlich eher darüber, wenn ich einmal etwas Ungewöhnlicheres finde, aber die meisten Vögel in der Stadt sind eben grau-schwarz.


Museum Angerlehner:

Deine Installation, wo ein Netz aufgespannt wurde und Zeichnungen von Federn, toten Vögeln und anderen Tieren darin hängen, wirkt auf den ersten Blick aufgrund der naturalistischen Darstellungsweise sehr brutal. Ist dies beabsichtigt? Möchtest du damit auch auf das Tierleid hinweisen?

Hannah Winkelbauer:

Bei dieser Serie geht es unter anderem um Tod und Vergänglichkeit. Dass bei der Netzinstallation noch einmal das Element der Brutalität hinzukommt, ist nur ein Aspekt von vielen, die bei den „Fundstücken“ mitschwingen. Ja, es geht auch um Tierleid, aber das ist keineswegs die zentrale Aussage.

Museum Angerlehner:

Zu welchen Künstler_innen hast du einen besonderen Bezug bzw. gibt es Arbeiten, die dich (in der Vergangenheit) inspiriert haben?

Hannah Winkelbauer:

Oh, da gibt es viele. Ganz generell fasziniert mich die Arbeitsweise von Gerhard Richter. Das Arbeiten in Serien und seine Beschäftigung mit Bildern, die es schon gibt, hat mich sehr beeinflusst. Die aktuelle Ausstellung im Kunstforum in Wien habe ich gerade noch rechtzeitig vor dem Lockdown gesehen. Auch Marlene Dumas hat mich mit ihren Porträts stark geprägt. Sie ist eine der größten Porträtkünstlerinnen unserer Zeit: mit wenigen gekonnten Strichen und leichter Verschwommenheit stellt sie Menschen unheimlich ausdrucksstark dar. Ebenso liebe ich die Bilder von Luc Tuymans. Giorgio Morandi ist eine Inspiration für mich, weil auch er lapidare Motive zu Kunstwerken „erhoben“ hat und sich mit der Ästhetik des Alltags beschäftigt hat. Therese Eisenmann ist in ihrer Konsequenz und Eigenständigkeit ein künstlerisches Vorbild für mich.

Museum Angerlehner:

Sind für 2021 wieder Ausstellungen geplant? Wo kann man deine Kunst sonst noch sehen?

Hannah Winkelbauer:

Derzeit bin ich bei einer bereits länger geplanten Gruppenausstellung in der 44er-Galerie in Leonding mit einigen älteren Arbeiten vertreten. Der Titel der Schau lautet „Erinnerung“, die Eröffnung musste leider corona-bedingt entfallen und wurde durch einen Online-Rundgang ersetzt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hannah Winkelbauer

wurde 1987 in Wien geboren. Sie studierte Kulturwissenschaften und Bildende
Kunst an der Linzer Kunstuniversität und an der Accademia di Belle Arti in
Bologna.

Ihre Arbeiten sind u. a. in der Kunstsammlung des Landes
Oberösterreich, im OÖ Landesmuseum und in der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei
vertreten.

Seit 2006 werden ihre Werke in zahlreichen Gruppen- und
Einzelausstellungen im In- und Ausland gezeigt.


Die Ausstellung „Lost & Found“ wurde bis 8. November 2020 im Salon des Museum Angerlehner gezeigt.

Adresse

Museum Angerlehner

Ascheter Str. 54, 4600 Thalheim bei Wels

 

   07242/224422-0

  office@museum-angerlehner.at

Öffnungszeiten

Montag - Freitag auf Anfrage (nur für Gruppen)

Samstag 14:00 - 18:00

Sonntag 10:00 - 18:00

Das Obergeschoss (Galerie- & Grafikräume) des Museum Angerlehner befindet sich bis 27.04.2024 im Ausstellungsumbau. Die große Ausstellungshalle, der Salon und deren Ausstellungen sind von diesem Umbau nicht betroffen und können zu den üblichen Öffnungszeiten besichtigt werden.

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